„Hey, Dad.“ Die Studentin schlenderte durch den dunklen Laden auf ihren Vater zu. Die Platten waren schlafende Wesen, die auch im Traum eine vibrierende Präsenz ausstrahlten.
„Mhmh“, kam es brummend zurück. Ihr Vater zählte Bargeld. Die Kundschaft musste jedes Mal an den Geldautomaten, bevor sie einen der alten Freunde mit nach Hause nehmen durfte, das war der Deal.
„Ich hab dir einen Kaffee mitgebracht.“ Sie stellte die beiden Becher hinter dem Tresen ab. „Schwarz, mit einem Stück Zucker.“ Ihr Vater schaute nicht einmal auf. Versunken in seinem Reichtum oder einfach die Scheine als Mittel nutzend, um in irgendwelchen Erinnerungen abzutauchen, ihr war es egal. Sie begann, den Laden zu fegen und die Fensterbänke abzuräumen.
„Heute muss ich eine Stunde früher los.“ Sie wischte alle Fensterbänke ab, die mit Postern verhangenen Scheiben wagte sie hingegen nicht anzurühren. Ihr Vater schaute kurz auf, nickte und wendete sich wieder seiner Kasseninventur zu. Als Nächstes waren die in Folie eingeschlagenen Sammlerstücke dran, die sie mit einem Staubwedel von frischen Flocken befreite. Rock `n roll ließ sie schneller arbeiten. Auch wenn im Laden nie Musik spielte, was bei näherer Betrachtung doch ungewöhnlich für einen Plattenladen war, fehlte ihr nichts. Sie hörte die Klassiker im Kopf – und von Zeit zu Zeit dachte sie sich Lyrics für das Vinyl aus, das ihr nichts sagte.
Eine Kundin betrat den Laden und sah sich in Ruhe um. Sie würde nichts kaufen, das spürte die Studentin sofort. Sie war eine dieser Personen, die sich entweder die Zeit bis zu ihrem Zahnarzttermin oben im Haus vertreiben wollte, oder die gerade aus der Bücherei an der Ecke kam und die es fast natürlicherweise im Anschluss hierhergezogen hatte. Doch bald schon würde sie spüren, dass Schallplatten eigentlich nichts für sie waren, sie würde sich daran erinnern, dass sie keinen Plattenspieler besaß und all ihre Freunde ebenfalls maximal CDs im Autoradio hörten. Sie wischte die Lampenschirme ab. „Vergiss deinen Kaffee nicht, Dad.“ Ihr Vater hatte die Scheine inzwischen wieder in die Kasse gelegt und stapelte nun Münzen. Gedankenverloren nippte er an seinem Becher.
Die Kundin drehte sich zur Seite, um zwei Platten aus den Regalen zu ziehen. Dabei rutschte ihr offener Mantel ein wenig zur Seite und entblößte einen gewölbten Bauch. Zu groß und rund für ein Mittagessen, schoss es der Studentin durch den Kopf. Sie musste schwanger sein. Langsam kam die Kundin mit ihren Fundstücken auf die Kasse zu.
Sie legte den Lappen zur Seite, zog ihren Handschuh aus und lächelte die Kundin an. Sie waren ungefähr gleich alt. Ihr Vater verzog keine Miene, hielt immer noch seinen Kaffeebecher fest.
„Die beiden hätte ich gerne“, sagte die Kundin freundlicher- und überflüssigerweise. Sie zog ihren Geldbeutel aus dem Rucksack und zahlte in passenden Scheinen.
Sie wickelte die Transaktion ab und wendete sich wieder den Lampenschirmen zu. Es würde den Laden nicht heller machen, aber ein wenig freundlicher sah es bereits aus. Zumindest bildete sie sich das ein.
Die Kundin inspizierte ihren Kauf und lächelte versonnen, bevor sie mit einem freundlichen Gruß aus der kleinen Welt der alten Tonträger verschwand. Noch immer stand ihr Vater wie angewurzelt neben der Kasse, tief in seine Gedanken versunken.
Hier geht es zum Anfang der Geschichte.
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