Die junge Frau schlug die Augen auf.

Es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, dass sie auf dem Sofa eingeschlafen war. Einen weiteren Moment, bis sie sich an die Tageszeit erinnerte. Wie konnte sie nur immer nach dem Nickerchen so fertig sein? Die Schallplatte ihres Vaters war ihr aus der Hand gerutscht, der Tee inzwischen vermutlich kalt. Völlig desorientiert schlurfte sie in die Küche und fragte sich dann, was sie dort wollte. Badezimmer? Badezimmer.

Anschließend setzte sie sich wieder auf die Couch. Teo hatte sie nicht weiter beachtet, nun streckte er sich ausgiebig, bevor er sich neben ihr einrollte. Meine kleine Fellwurst, dachte sie. Wenn ich dich nicht hätte, wüsste ich gar nicht mehr, ob ich hier richtig bin. Sie fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht und sah sich langsam im Raum um. Anker setzen, atmen und so. Pizzakarton, benutzte Schüsseln und Gläser, leere Flaschen, ihre Uni-Tasche. Die Wolldecke von Nunu mit den riesigen Maschen, die eigentlich nur ein Netz war. Nunu, die eigentlich Nana war. Draußen spielten ein paar Kinder lautstark Entführung. Sie lauschte ihnen eine Weile und lächelte versonnen. Sie war immer wieder entzückt, wie intelligent die Winzlinge die Nachrichten ihrer Eltern in ihr eigenes Spiel verwandelten. Gestern Abend hatte das staatliche Fernsehen verkündet, die Premierministerin sei gegen ein Lösegeld freigelassen worden.

Was sollte sie nun machen? Endlich mit ihrem Roman fortfahren? Schließlich hatte sie Semesterferien und im Laden brauchte sie heute auch niemand. Erst mal aufräumen, beschloss sie. Das Geschirr war schnell abgeräumt und gespült, die Schallplatte sorgsam verstaut. Doch als sie ihren Blick auf ihren Schreibtisch richtete, schlug ihr eine unerklärliche Schwere entgegen. Sie wollte einfach nicht. So klar ihr die Geschichte war und so sehr sie sie begleitete, fanden die Worte in ihrem Kopf doch keinen Weg aufs Papier. Sie spann bei jeder Gelegenheit im Geist kleine Geschichten ihrer Protagonisten, doch beim Aufschreiben stolperte sie hölzern von einer Idee zur nächsten, ohne je richtig einzutauchen. Das war das Problem, sie versuchte die bereits durchdachten Elemente aufzuschreiben. So würde nie etwas Frisches aus ihr fließen, denn alles war bereits fertig. Es war so spannend in ihrem Kopf! Wenn sie mit Nunu Pfannkuchen aß und diese ihr von ihren Freundinnen erzählte, sah sie parallel dazu ihren Helden durch die verregneten Straßen der Großstadt ziehen, die Hände in den Taschen, eine Zigarette lässig im Mundwinkel, um ihn herum die Verbrechen der Dämmerung in spürbarer Nähe. Doch sobald sie zuhause am Schreibtisch saß, um die Szene aufzuschreiben, verflüchtigte sie sich wie Nebel oder schlimmer noch, erstarrte sie noch im selben Moment zu einem Standbild. Sie konnte den Kurzfilm immer wieder vor ihrem inneren Auge abspielen, aber beim Versuch, die Welt einzufangen, entglitt sie ihr. Sie nahm zahlreiche Anläufe und zwang sich schließlich, in bitter gewöhnliche Worte zu fassen, was zuvor lebendig in ihr spielte. Dann gab sie auf.

Traurig und enttäuscht ging sie vor die Tür, überlegte kurz, mit dem Rauchen anzufangen, und entschied sich schließlich für gebratene Nudeln beim einzigen Imbiss ihrer Stadt.
Wieder ein vergeudeter Tag. Bis sie sich auf die Uni konzentrieren konnte, verging eine Stunde.


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