Als mich die ersten Worte meines Debütromans erreichten, war ich eine vierunddreißigjährige Frau aus Hamburg, die gerade eine Fehlgeburt erlebt und gemeinsam mit ihrem Mann beschlossen hatte, einen dringend benötigten Tapetenwechsel vorzunehmen.

Wir wollten schon lange im Ausland leben. Nun hatte uns dieser Schicksalsschlag ganz unmittelbar vor die große Frage gestellt, ob wir unserem alten Traum folgen sollten.

Wir kündigten also unsere Jobs und zogen nach Ljubljana, in die Hauptstadt Sloweniens, das oft mit der Slowakei verwechselt wird, tatsächlich aber in einer Art Kessel südlich der Alpen zwischen Österreich, Italien, Kroatien und Ungarn liegt. Für viele ist Slowenien anscheinend bloß eine Station auf dem Weg in ihren Urlaub zum südlichen Nachbarn. Als ich einmal die deutsche Botschaft anrief, ertönte die folgende Ansage:

„Guten Tag. Wenn Sie auf der Durchreise nach Kroatien sind und ihren Reisepass verloren haben, drücken Sie bitte die Eins. Für alle anderen Anliegen drücken Sie bitte die Zwei.“

Ich war einer romantischen Idee verfallen und sah mich schon in einem der Cafés an der Ljublijanica sitzen, Espresso trinken und schreiben. Als ich das erste Mal dort war, bestellte ich mir eine Pizza und wurde prompt von mehreren Wespen und einer Hornisse bedrängt. Ich ging nie wieder alleine hin.

Wir fanden eine hübsche Wohnung, die von einer älteren Dame komplett neu eingerichtet worden war und die sie bis zu ihrem Ruhestand für einen überschaubaren Zeitraum an ausländische Paare vermieten wollte. Es gab ein kleines Büro, das eigentlich ein Ankleidezimmer mit Schreibtisch war, welches ich zum Schreiben nutzen konnte.

Die Firma meines Mannes stellte für mich und einige weitere Angehörige eine private Vermittlungsagentur ein, die eigens für uns ein Karriereprogramm entwickelte und mich in die lokale (Arbeits-)Kultur einwies. Ich war bezaubert von den jungen, hübschen und intelligenten Frauen, die mich hier wie dort begleiteten.

Über vier Jahre hatte ich in Hamburg in einer Firma mit Psychologen, Therapeuten, systemischen Begleitern und Coaches gearbeitet und war obendrein mit einer Heilpraktikerin in die Tiefen meines Unterbewusstseins gedrungen. Meine Ausbildung zum Business Coach und zum Individualsystemischen Coach hatte ich geliebt, doch ich brauchte auch ganz dringend eine Pause von allem, was in die Tiefe ging – schließlich war ich mit meiner neuen Umgebung voll ausgelastet. „Leider“ war ein zentraler Bestandteil des Programms eine eingehende psychologische Analyse. Als ich mich jedoch drauf einließ, half sie mir natürlich umso mehr, mich im Außen zurechtzufinden. 😉

Nach eingehender Recherche beschloss ich, mich als Texterin selbstständig zu machen, was vielleicht souverän klingt, aber tatsächlich mit dem ersten zaghaften Schritt in eine Textbörse begann, wo hochwertige Werbetexte zu abartig geringen Preisen vermittelt werden. Viele gute Leute lassen sich hier ausbeuten und mir war schnell klar, dass ich so auf keinen grünen Zweig kommen würde. Der einzige Vorteil war, dass ich alles online abwickeln konnte. Wer nun denkt, „du hast doch sicher auch gutes Feedback bekommen“, hat natürlich Recht. Aber aus heutiger Sicht kann ich wirklich jedem nur empfehlen, sich diesen Schritt zu sparen.

Nebenbei flossen die ersten Worte meines Romans aufs Papier: Ein innerer Dialog zwischen zwei männlichen Archetypen, die sich mit all ihren Erfahrungen, ihrer Weisheit, aber auch ihrem Frust begegnen. Ich befand mich immer noch in einer männlichen Welt (einer Welt männlicher Energien, auch unter Frauen), und dementsprechend klangen meine Dialoge. Trotzdem war ich glücklich über meinen Fortschritt.

Irgendwann zeigte ich die Texte meinem Mann, der echte Freudentränen darüber vergoss, dass ich endlich schrieb.

Ich begann, mich online als Texterin fortzubilden. Das Handwerkszeug hatte ich, nun bekam mein Stil seinen Feinschliff und meine innere Unternehmerin Feuer unter dem Hintern. Endlich wollte und konnte ich mich als vollwertige, freie Texterin verkaufen! Die private Agentur vermittelte mir erste Aufträge, wovon ich einige dankbar annahm und andere ablehnte, wenn sie nicht meinen Vorstellungen entsprachen. Ich handelte Deals aus, teilweise zu besorgniserregenden Konditionen, aber es waren meine ersten eigenen Deals. 😊

So verdiente ich also Geld als Texterin mit dem, was ich wirklich liebte und gut konnte. Bald übernahm ich Übersetzungsaufträge vom Englischen ins Deutsche für slowenische Kunden, die für den deutschsprachigen Markt einen Native Speaker brauchten, der zudem etwas vom Marketing verstand.

Mein Manuskript wuchs langsam weiter. Parallel entstand ein zweites, diesmal direkt zum Thema Fehlgeburt.

Gebloggt hatte ich schon vor vielen Jahren, nun startete ich als Texterin und Übersetzerin damit erneut. Ich starb tausend Tode, weil ich dachte, alle Freunde und Bekannte würden jedes meiner Worte lesen und beurteilen. In Wirklichkeit interessierte sich kaum jemand aus meinem privaten Umfeld für meine professionellen Texte, geschweige denn für mich als Selbstständige. Ein gutes Testfeld, um später als Autorin an die Öffentlichkeit zu gehen.

2019 war das Thema Fehlgeburt ein großes Tabu, in den sozialen Medien wurde meines Wissens kaum darüber gesprochen. Ich beschloss, dies zu ändern und schrieb für einen spezialisierten Sternenelternblog einen Gastbeitrag zum Thema „Umgang mit Fehlgeburt“, der Angehörigen mehr Sicherheit im Umgang mit Betroffenen geben sollte. Leider gibt es heute Blog und Artikel nicht mehr, aber die Präsenz des Themas ist inzwischen enorm gestiegen (zum Beispiel auf Instagram), so dass ich dies als ein gutes Zeichen werte.

Schweren Herzens verließen wir nach etwas über einem Jahr Ljubljana, um nach Amsterdam zu ziehen. Ich fasste den Entschluss, mein Parallel-Manuskript einer Lektorin zu zeigen, die ich „durch Zufall“* online entdeckt hatte.

Mit dem Umzug schickte ich ihr eine Mail, in der ich sie vorwarnte, dass es um das Thema Fehlgeburt ging. Es machte ihr nichts aus. Wir sprachen am Telefon über mögliche nächste Schritte und ich beschloss, ihr einen Batzen Texte zu schicken, den ich als Essaysammlung zusammen mit einer Kurzgeschichte zum Thema „Kreatives Schreiben“ veröffentlichen wollte. Sie hatte nicht zu viel versprochen: Ihr Lektorat hatte Herz. Veröffentlicht ist der Band allerdings noch nicht, denn sie stellte umgehend für mich und einige weitere Teilnehmer ein Mentoringprogramm auf die Beine, das mir konzentriert half, meinen ersten Roman fertigzustellen. All die Energie, die ich jahrelang angesammelt hatte, durfte sich nun endlich in diesem kreativen Projekt konzentriert entladen – und schlug wie eine Bombe auf dem Papier ein. Alles, was ich aus der Epigenetik, den Familienaufstellungen und zur Vererbung von Fehlgeburten (Nachfolge in den Tod) gelernt hatte, fand seinen Raum in meinem Roman. Es hätte wohl genauso gut ein Sachbuch werden können, aber ich brauchte eine ganze Welt – und eine Welt außerhalb der Welt – um den Sachverhalt annähernd umfassend darstellen zu können.

Innerhalb weniger Wochen stand das Konzept. In den nächsten Monaten war ich durch Corona ganz überraschend an die Wohnung gefesselt und nutzte die Atempause der Welt, um ganz tief in meine Geschichte einzutauchen. Gleichzeitig erforschte ich die Angst um mich herum, die sich in Holland viel milder (oder in anderer Form) zeigte, als ich es aus Deutschland mitbekam. Seinen Abschluss fand mein Buch schließlich in Kopenhagen, wo wir inzwischen leben. Doch dazu vielleicht ein anderes Mal mehr. 😊

Deine Nadine,
Autorin für Seelenthemen

*Heute machen wir einen Podcast zusammen (siehe Fußleiste) und sind richtig gute Freundinnen. ❤

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